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Die Kolumne – Was dem Euro recht ist

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Im Streit um Staatsanleihekäufe der EZB wird offenbar, dass wir ein anderes Verständnis davon haben, was Gesetze bedeuten. Zumindest in Sonntagsreden. Und bei der Bundesbank.

Wenn Europas Zentralbanker aus der Sommerpause auftauchen, wird es ernst. Dann ist zu entscheiden, ob und wie die Notenbank in Not den massiven Kauf von Staatsanleihen ankündigt. Was für Bundesbankchef Jens Weidmann ein Unding ist, ist für andere die mögliche Lösung aller akuten Panikprobleme an den Märkten.

Jetzt muss es noch nicht zwingend gegen Weidmanns Position sprechen, dass er, wie er festhalten ließ, im Zentralbankrat als Einziger dagegen war, das überhaupt zu erwägen – was ja heißt, dass 21 dafür sind, neben dem zweiten Deutschen somit auch die Geldhüter aus Holland, Finnland, Estland, Österreich und Luxemburg. Nur fragt sich, ob die ökonomischen Argumente so überzeugen, wenn selbst solche Bundesbankfreunde nicht mehr mitziehen.

Umso bemerkenswerter könnte sein, dass Weidmann seinen Widerstand stark juristisch begründet – und im Grunde damit, dass die Euro-Rettung leider nicht erlaubt ist. Dass er damit allein steht, könnte in der Tat ein Mentalitäts- oder Kulturproblem sein. Und ein Zeichen dafür, dass es unterschiedliche Auffassungen gibt, wie Gesetze zu verstehen sind – ob sie im Notfall auch mit gesundem Menschenverstand zu nehmen und gar zu erneuern sind. Sollte die deutsche Antwort da grundlegend anders sein, wäre es auf Dauer schwierig, in einer Währungsunion gütlich auszukommen. Es sei denn, der Unterschied ist in der Praxis gar nicht so groß.

Falsche Angst vor Willkür

Juristisch geht es gerade darum, ob es mit dem EZB-Mandat vereinbar ist, wenn sie ankündigt, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen zu kaufen – was nach Urteil der Befürworter schon genügen würde, um die Märkte zu beruhigen. Geht es nach den Bundesbankern, darf sie das nicht: weil in den Statuten steht, dass sie erstens für Preisstabilität sorgen soll und zweitens nicht unmittelbar Schuldtitel von Staaten erwerben darf. Womit die Deutschen in der Tat schlechte Erfahrung gemacht haben.

Die Befürworter halten dagegen, dass das ein ganz anderes Problem war, die Preisstabilität gar nicht gefährdet ist, es umgekehrt angesichts der Marktpanik aber das Problem gibt, dass die niedrigen Leitzinsen gar nicht bei denen ankommen, die sie dringend bräuchten – und die Notenbank in solchen Fällen auch ungewöhnliche Mittel nutzen muss, damit ihre Geldpolitik wieder wirkt. Zumal sie laut Statut auch die „allgemeine Wirtschaftspolitik“ der Union unterstützen soll – wozu man die Vermeidung von Marktturbulenzen rechnen kann. Und zumal die „grundlegenden Aufgaben“ der EZB auch darin bestehen, „das reibungslose Funktionieren der Zahlungssysteme zu fördern“, auch mit Interventionen an Finanzmärkten oder dem Kauf von Staatsanleihen am Sekundärmarkt, statt bei den Staaten, was nicht verboten ist.

All das scheint Jens Weidmann wenig zu beeindrucken, der kontert, dass gar nicht eindeutig festlegbar sei, wann Umstände besonders seien, und dass dann jeder kommen könne. Das öffne Willkür Tür und Tor. Fazit: Deshalb geht das gar nicht. Womit wir beim Kern des vermeintlichen Mentalitätsgefälles wären.

In Deutschland können wir mit so etwas schlecht umgehen. Da haben wir gelernt, dass wir an einer roten Fußgängerampel nicht gehen dürfen. Weil das sonst jeder macht. Weshalb die meisten von uns selbst dann brav stehen bleiben, wenn wir nachts auf leerer Straße stehen (und der eine oder andere das wahrscheinlich sogar am autofreien Sonntag machen würde). Wer sagt uns schon, wie leer eine Straße sein muss? Gesetz ist Gesetz.

So viel Konsequenz versteht bekanntlich anderswo kein Mensch, nicht nur im Süden Europas, sondern auch im pragmatischen Großbritannien, in den USA und sonst wo. Da kann man sich vorstellen, wie entgeistert die Kollegen im EZB-Rat oder bei IWF-Treffen dasitzen, wenn Herr Weidmann sagt, da könnte sonst jeder kommen. Und wie ratlos Herr Weidmann dasitzt, dass die anderen das nicht verstehen wollen.

Grund, den Euro sofort abzuschaffen wegen unvereinbarer Rechtsverständnisse? Nicht unbedingt. Das Ding ist ja, dass wir zwar so aufgewachsen sind, keine Ausnahmen machen zu dürfen, auch bei uns in der Rechtsprechung aber interpretiert und abgewogen wird, wenn es der gesunde Menschenverstand gebietet.

Bundesbank kann auch anders

Wenn die EZB nächstens auf leerer Straße über eine rote Ampel ginge, wäre das zwar nicht schlimm, aber auch nicht gut. Wegen des Vorbilds. Im akuten Fall geht es aber darum, ob sie, um beim Beispiel zu bleiben, an einer roten Fußgängerampel rechtsergeben stehen bleiben muss, wenn auf der anderen Seite gerade, sagen wir, eine ältere Dame überfallen wird. Und ob die unterlassene Hilfe dann auch damit begründet werden kann, dass es verboten sei, bei Rot zu gehen; und dass sonst ja jeder kommen könnte; und wer denn bitte sage, wann so ein Regelbruch tolerierbar ist oder nicht.

So ein Gequatsche würde auch ein deutscher Richter sofort stoppen – mit dem Verweis darauf, dass es nun einmal einen Notstand gab, gegenüber dem das Gehen bei Rot vertretbar ist. Was ja nicht heißt, dass von jetzt jeder bei Rot über die Ampel gehen darf. Und was natürlich mit der Abwägung verbunden ist, ob es sich um einen Notfall handelte (oder ältere Damen nun mal überfallen werden und das kein Grund ist, bei Rot über die Ampel zu gehen).

Um so eine Abwägung kommen auch Notenbanker nicht umhin, wenn es darum geht, abzuschätzen, ob gerade die Währung zu kippen droht, wenn an Märkten im Monatsrhythmus Panikschübe entstehen, obwohl die Euro-Länder enorm konsolidieren – und unser Finanzminister wegen der panikartigen Flucht in deutsche Staatsanleihen kaum noch Zinsen auf neue Schulden zahlen muss. Was ist daran normal? Was ist denn dann ein Notstand, der legitimieren könnte, dass eine Notenbank ausnahmsweise den Kauf von Staatsanleihen ankündigt, soweit das Aussicht darauf bietet, eine Katastrophe zu verhindern? Die wichtigere Frage ist, ob sie das kann. Nicht das Juristische.

Natürlich muss man dann dafür sorgen, dass so etwas nicht beliebig vorkommt, die Ausnahme gut begründet ist und Missbrauch verhindert wird. Alles nicht einfach, klar. Nur wäre es absurd, die Krise deshalb eskalieren zu lassen, aus Angst, da könnte ja jeder kommen.

Das Gute ist, dass auch deutsche Gralshüter aller Erfahrung nach am Ende pragmatisch abwägen. Auch die Bundesbank hat in der Krise 1975 mal Staatspapiere gekauft und 1993 interveniert, um den Franc zu retten – was auch nicht Kernauftrag der Bundesbank war. Da hat Hans Tietmeyer entschieden, dass sonst Schlimmeres droht, und das Prinzip mal Prinzip sein lassen. Ohne dass die Welt unterging und danach jeder gekommen ist.

Das Schlechte ist, dass das bei uns eher lang dauert, erst die Prinzipien hochgehalten werden. Und dass es bei heutigen Bundesbankpräsidenten beängstigend lang dauert, bis für besondere Umstände auch mal besondere Mittel zugelassen werden.

Email: fricke.thomas@guj.de



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